Soll Paul von Hindenburg Ehrenbürger Potsdams sein?

Hindenburgs politisches Testament vom 11. Mai 1934

Dem deutschen Volke und seinem Kanzler!

1919 schrieb ich in meinem Vermächtnis an das deutsche Volk:
„Wir waren am Ende! Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front. Vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken. Unsere Aufgabe war es nunmehr, das Dasein der übriggebliebenen Kräfte unseres Heeres für den späteren Aufbau des Vaterlandes zu retten. Die Gegenwart war verloren. So blieb nur die Hoffnung auf die Zukunft.
Heran an die Arbeit!

Ich verstehe den Gedanken an Weltflucht, der sich vieler Offiziere angesichts des Zusammenbruchs allen dessen, was ihnen lieb und teuer war, bemächtigte. Die Sehnsucht ´nichts mehr wissen zu wollen´ von einer Welt, in der die aufgewühlten Leidenschaften den wahren Wertkern unseres Volkes bis zur Unkenntlichkeit entstellten, ist menschlich begreiflich und doch – ich muß es offen aussprechen, wie ich denke:
Kameraden der einst so großen stolzen deutschen Armee! Könntet ihr vom Verzagen sprechen? Denkt an die Männer, die uns vor mehr als hundert Jahren ein innerlich neues Vaterland schufen. Ihre Religion war der Glaube an sich selbst und an die Heiligkeit ihrer Sache. Sie schufen das neue Vaterland, nicht es gründent auf eine uns wesensfremde Doktrinwut, sondern es aufbauend auf den Grundlagen freier Entwicklung des einzelnen in dem Rahmen und in der Verpflichtung des Gesamtwohls! Diesen selben Weg wird auch Deutschland wieder gehen, wenn es nur erst einmal wieder zu gehen vermag.

Ich habe die feste Zuversicht, daß auch diesmal, wie in jenen Zeiten, der Zusammenhang mit unserer großen reichen Vergangenheit gewahrt, und wo er vernichtet wurde, wiederhergestellt wird. Der alte deutsche Geist wird sich wieder durchsetzen, wenn auch erst nach schwersten Läuterungen in dem Glutofen von Leiden und Leidenschaften. Unsere Gegner kannten die Kraft dieses Glaubens, sie bewunderten und haßten ihn in der Werktätigkeit des Friedens, sie staunten ihn an und suchten unsere Stärke mit dem leeren Worte ´Organisation´ ihren Völkern begreiflich zu machen. Den Geist, der sich diese Hülle schuf, in ihr lebte und wirkte, den verschwiegen sie ihnen. Mit dem Geiste und in ihm wollen wir aber aufs neue mutvoll wieder aufbauen. Deutschland, das Aufnahme- und Ausstrahlungszentrum so vieler unerschöpflichen Werte menschlicher Zivilisation und Kultur, wird solange nicht zugrunde gehen, als es den Glauben behält an seine große weltgeschichtliche Sendung. Ich habe das sichere Vertrauen, daß es der Gedankentiefe und der Gedankenstärke der Besten unseres Vaterlandes gelingen wird, neue Ideen mit den kostbaren Schätzen der früheren Zeit zu verschmelzen und aus ihnen vereint dauernde Werte zu prägen, zum Heil unseres Vaterlandes. Das ist die felsenfeste Überzeugung, mit der ich die blutige Walstatt des Völkerkampfes verließ. Ich habe das Heldenringen meines Vaterlandes gesehen und glaube nie und nimmermehr, daß es sein Todesringen gewesen ist.[ 1 ]

Gegenwärtig hat eine Sturmflut wilder politischer Leidenschaften und tönenden Redensarten unsere ganze frühere staatliche Auffassung unter sich vergraben, anscheinend alle heiligen Überlieferungen vernichtet. Aber diese Flut wird sich wieder verlaufen. Dann wird aus dem ewig bewegten Meere völkischen Lebens jener Felsen wieder auftauchen, an den sich einst die Hoffnung unserer Väter geklammert hat und auf dem fast vor einem halben Jahrhundert durch unsere Kraft des Vaterlandes Zukunft vertrauensvoll begründet wurde: Das deutsche Kaisertum! Ist so erst der nationale Gedanke, das nationale Bewußtsein wiedererstanden, dann werden für uns aus dem großen Kriege, auf den kein Volk mit berechtigerem Stolz und reinerem Gewissen zurückblicken kann als das unsere, so lange es treu war, sowie aus dem bitteren Ernst der jetzigen Tage sittlich wertvolle Früchte reifen. Das Blut all derer, die im Glauben an Deutschlands Größe gefallen sind, ist dann nicht vergeblich geflossen.

In dieser Zuversicht lege ich die Feder aus der Hand und baue fest auf dich – du deutsche Jugend!” Diese Worte schrieb ich in dunkelster Stunde und in dem vermeintlichen Bewußtsein, am Abschluß eines Lebens im Dienste des Vaterlandes zu stehen. Das Schicksal hatte es anders über mich bestimmt. Im Frühjahr 1925 schlug es ein anderes Kapitel meines Lebens auf. Noch einmal sollte ich an dem Geschick meines Volkes mitwirken.

Nur meien feste Zuversicht zu Deutschlands unversiegbaren Quellen gab mir den Mut, die erste und zweite Wahl zum Reichspräsidenten anzunehemen.

Dieser felsenfeste Glaube verlieh mir auch die innere Kraft, mein schweres Amt unbeirrt durchzuführen. Der letzte Abschnitt meines LEbens ist zugleich der schwerste für mich gewesen. Viele haben mich in diesen wirren ZEiten nicht verstanden und nicht begriffen, daß meien einzige Sorge die war, das zerrissene und entmutigte deutsche Volk zur selbstbewußten Einigkeit zurückzuführen

Ich begann und führte mein AMt in dem BEwußtsein, daß in der inneren und äußeren Politik eine entsagungsvolle Vorbereitungszeit notwendig war. Von der OSterbotschaft des Jahres 1925 an, in der ich die Nation zu Gottesfurcht und sozialer Gerechtigkeit, zu innerem Frieden und zur politischen Sauberkeit aufrief, bin ich nicht müde geworden, die innere Einheit des Volkes und die Selbsbestimmung auf seine besten Eigenschaften zu fordern. Dabei war mir bewußt, daß das Staatsgrundgesetz und die Regierungsform, welche die Nation sich in der Stunde grßer Not und innere Schwäche gegeben, nicht den wahren Bedürfnissen unseres Volkes entspreche. Die Stunde mußte reifen, wo diese Erkenntnis Allgemeingut wurde. Daher schien es mir Pflicht, das Land durch dieses Tal äußerer Bedrückung und Entwürdigung, innerer Not und Selbstzerfleischung ohne Gefährdung seiner Existenz hindurchzuführen, bis diese Stunde anbrach.

Symbol und fester Halt für diesen Aufbau mußte die Hüterin des Staates, die Reichswehr, sein. In ihr mußten die alten preußischen Tugenden der selbstverständlichen Pflichttreue, der Einfachheit und Kameradschaft als festes Fundament des Staates ruhen.

Die deutsche Reichswehr hat nach dem Zusammenbruch die Fortsetzung der hohen Tradition der alten Armee in mustergültiger Art gepflegt.
Immer und zu allen Zeiten muß die Wehrmacht ein Instrument der obersten Staatsführung bleiben, das unberührt von allen innenpolitischen Entwicklungen seiner hohen Aufgabe der Verteidigung des Landes gerecht zu werden trachtet.

Wenn ich zu meinen Kameraden, dort oben, mit denen ich auf so vielen Schlachtfeldern für die Größe und Ehre der Nation gefochten habe, zurückgekehrt sein werde, dann rufe ich der jungen Generation zu:
Zeigt euch eurer Vorfahren würdig und vergeßt nie, daß, wenn ihr den Frieden und die Wohlfahrt eurer Heimat sicherstellen wollt, ihr bereit sein müßt, für diesen Frieden und die Ehre des Landes auch das Letzte herzugeben. Vergeßt nie, daß auch euer Tun einmal Tradition wird.
All den Männern, die den Auf- und Ausbau der Reichswehr vollzogen haben, gilt der Dank des Feldmarschalls des Weltkrieges und ihres späteren Oberbefehlshabers.

Außenpolitisch hatte das deutsche Volk einen Passionsweg zu durchwandern. Ein furchtbarer Vertrag lastete auf ihm und drohte in seiner steigenden Auswirkung unsere Nation zum Zusammenbrechen zu bringen. Lange verstand die uns umgebende Welt nicht, daß Deutschland nicht nur um seiner selbst willen, sondern als der Fahnenträger abendländischer Kultur auch um Europas willen leben mußte.

Nur schrittweise, ohne einen übermächtigen Widerstand zu erwecken, waren daher die Fesseln, die uns umgeben, zu lockern. Wenn manche meiner alten Kameraden die Zwangsläufigkeit dieses Weges damals nicht begriffen, so wird doch die Geschichte gerechter beurteilen, wie bitter, aber auch wie notwendig im Interese der Aufrechterhaltung deutschen Lebens mancher von mir gezeichnete Staatsakt gewesen ist.

Im Gleichklang mit der wachsenden inneren Wiedergesundung und Erstarkung des deutschen Volkes konnte auf der Basis einer eigener nationaler Ehre und Würde eine fortschreitende – und so Gott will – segensreiche Mitarbeit in den ganz Europa bewegenden Fragen erstrebt bzw. erzielt werden.

Ich danke der Vorsehung [ 2 ] , daß sie mich an meinem Lebensabend die Stunde der Wiedererstarkung hat erleben lassen. Ich danke all denen, die in selbstloser Vaterlandsliebe an dem Werk des Wiederaufstiegs mitgearbeitet haben.

Mein Kanzler Adolf Hitler und seine Bewegung haben zu dem großen Ziele, das deutsche Volk über alle Standes- und Klassenunterschiede zur inneren Einheit zusammenzufassen, einen entscheidenden Schritt von historischer Tragweite getan. Ich weiß, daß vieles noch zu tun bleibt, und ich wünsche von Herzen, daß hinter dem Akt der nationalen Erhebung und des völkischen Zusammenschlusses der Akt der Versöhnung stehe, der das ganze deutsche Vaterland umfaßt.

Ich scheide von meinem deutschen Volk in der festen Hoffnung, daß das, was ich im Jahre 1919 ersehnte und was in langsamer Reife zu dem 30. Januar 1933 führte, zu voller Erfüllung und Vollendung der geschichtlichen Sendung unseres Volkes reifen wird.

In diesem festen Glauben an die Zukunft des Vaterlandes kann ich heute beruhigt meine Augen schließen.

Berlin, den 11. Mai 1934
von Hindenburg

[1] In seinem einleitend erwähnten "Vermächtnis an das deutsche Volk" das er in seinem 1919 erschienen Buch "Aus meinem Leben" veröffentlichte folgen an dieser Stelle fünf Absätze die er nicht in sein politisches Testament übernommen hat.

[2] Diese Formulierung hat schon früh Skepsis wach werden lassen, denn die Vokabel "Vorsehung" gehörte nicht eigentlich zu HIndenburgs mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch. Dagegen bildete sie eine von Hitler häufig gebrauchte und zum festen Bestandteil seiner "Weltanschauung" gehörenden Bezeichnung für die von ihm anerkannte und in besonderen Situationen beschworene "höchste Instanz". Der Wortlaut der hier folgenden vier Absätze ist hinsichtlich seiner Urheberschaft umstritten. Möglich erscheint, daß von Papen der Hindenburg Testament entwarf Hitler irgendwie entgegenkommen wollte.

Quelle: Werner Maser, Hindenburg, Eine politische Biographie, Ff/M. - Bln., 1990.