Gregor Schliepe
Plädoyer gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche
Potsdam, den 12.7.2001
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Sehr geehrte Damen und Herren !

Ich bin dagegen, daß die Garnisonkirche oder ihr Turm wieder aufgebaut wird. Das wissen Sie alle schon aufgrund der Ankündigung, und ich will Ihnen diese Haltung auch begründen. Viele Befürworter des Wiederaufbaus verweisen auf städtebauliche Aspekte, deshalb will ich damit beginnen und dazu ein klein wenig ausholen.

Unter dem Oberbegriff Städtebau lassen sich ja eine ganze Reihe von „Vorkommnissen“ zusammenfassen, die sich aber, wie ich festgestellt habe, gut zu zueinander passenden Paaren sortieren lassen.
Ein Paar sind beispielsweise die Alterung und der Verfall von Bausubstanz auf der einen Seite, und die Instandhaltung von Bausubstanz, im Zusammenhang damit auch die Denkmalpflege, auf der anderen Seite. Verfall ist ein natürlicher Prozeß und Instandhaltung die natürliche Reaktion darauf, beide Vorgänge bedingen einander und stehen sich auf einer Ebene gegenüber.
Als Sonderfall hierzu könnte die nicht gewollte Zerstörung eines genutzten und benötigten Gebäudes gelten, beispielsweise durch Brand oder auch Krieg. Das logische Gegenstück hierzu ist der Neuaufbau, und zwar je nach den herrschenden Bedürfnissen in alter oder neuer Form.

Eine weitere Zweiergruppe bilden der Abriß eines nicht mehr benötigten Gebäudes auf der einen und der Bau eines neuen Gebäudes aufgrund neu entstandener Bedürfnisse auf der anderen Seite. Beide sind Ausdruck einer sich wandelnden Zeit, sie tragen wesentlich zur Veränderung des Stadtbildes bei, der Stadt wird dadurch der „Stempel“ der jeweiligen Zeit aufgedrückt, deshalb liegen beide auf einer Ebene.
Nun gibt es da aber noch ein weiteres, wirklich groteskes Pärchen, das ebenfalls zu einer Ebene gehört. Das sind der Abriß eines noch benötigten Gebäudes auf der einen und der Bau eines nicht benötigten Hauses auf der anderen Seite. Es ist nicht gerade leicht vermittelbar, daß es so etwas überhaupt gibt, aber über zwei Beispiele genau dieser „Gattung“ des Städtebaus reden wir heute und hier: 1968 wurde ein Kirchturmstumpf gesprengt, dessen intakte Kapelle von der Heilig-Kreuz-Gemeinde gebraucht und genutzt wurde, und im Jahr 2001 diskutieren wir über den Bau einer Kirche, die definitiv nicht gebraucht wird. Beides unterscheidet sich zwar vom Ergebnis, liegt aber vom Sinn her auf einer Ebene.

Natürlich gibt es nichtsdestotrotz sowohl für den Abriß als auch für den Wiederaufbau Hintergründe und Motivationen, aber Sie ahnen sicherlich, daß ich deren Tragfähigkeit arg bezweifle. Ausführungen über die Sprengung, die ich, und das ist meine ganz private Meinung, für damals unüberlegt, kurzsichtig und ideologisch eingetrübt halte, spare ich mir hier natürlich, aber mit dem möglichen Wiederaufbau, der für mich mit der Sprengung auf einer Stufe steht, will ich mich auseinandersetzen.

Ich bin gegen diesen Wiederaufbau schon aufgrund der Geschichte der ehemaligen Garnisonkirche. Viele behaupten, das Gotteshaus Garnisonkirche sei nur an einem Tag seiner Geschichte von den Nazis „mißbraucht“ worden. Jedoch, sehr geehrte Anwesende, dies ist ein Irrtum. Der Mißbrauch dieser Kirche ist so alt wie sie selbst. Von Beginn, also vom Jahre 1732 an, hatte dieses Haus nicht in erster Linie kirchliche, sondern staatliche, und zwar sehr preußisch-staatliche Zwecke zu erfüllen. Sie wurde eingeweiht, so ist es vom Soldatenkönig überliefert, als „eine Versammlungshalle für die geistig-moralische Züchtigung der ‚Riesenkerle’“. Nicht extra betont werden muß wahrscheinlich, daß der Gottesdienstbesuch für die Soldaten Pflicht, man könnte auch sagen, „ZWANG“ war. Aber haben Sie denn beispielsweise alle gewußt, daß bereits 1737, also 5 Jahre nach der Einweihung, den Innenraum der Kirche zwei römische Kriegsgottheiten, nämlich Mars und Bellona, zierten? In einer Kirche! Das Christentum mit seinem Monotheismus und seiner Botschaft hat so was eben nicht zu bieten!

In der Folgezeit diente das Haus zunehmend als Ausstellungshalle für die in verschiedenen Kriegen erbeuteten Trophäen. Fahnen und Standarten der Besiegten aus dem 2. Schlesischen Krieg, später aus den Napoleonischen Kriegen und noch viel später, in Wilhelminischer Zeit, aus dem, nun gesamt-großdeutsch errungenen Sieg über Frankreich, wurden im Altarraum zur Schau gestellt, um aller Welt die militärische Machtfülle und den Herrschaftsanspruch des Preußentums zu demonstrieren. In der Garnisonkirche wurden die großen Siegesfeiern, beispielsweise nach dem siegreichen Dänenfeldzug 1864 gefeiert, und mit dem Glockengeläut der Garnisonkirche wurden Soldaten in den Krieg, z. B. in den 1. Weltkrieg, geschickt, aus dem viele nie wieder kamen.

Das, meine Damen und Herren, war Mißbrauch, und ohne diesen zweihundertjährigen preußisch-selbstverständlichen Mißbrauch hätte der eine unglückselige Tag von Potsdam so niemals stattgefunden. War doch gerade die Kirche und die ihrer Religiosität innewohnende Unabhängigkeit den Nazis mehr als suspekt.

Ich darf jedoch Adolf Hitler zitieren: „Es gibt kein höheres Symbol, als daß nach dem Verbrechen im Reichstag jetzt die nationale Regierung nach Potsdam geht, um an der Bahre des großen, unsterblichen Königs in der Garnisonkirche das neue Werk des deutschen Wiederaufbaus zu beginnen.“ Das ist der überlieferte Symbolgehalt der Garnisonkirche, für alte wie für neue Nazis!

Die Kirche hatte in der Tat nur eine friedliche, von religiöser Nutzung dominierte Zeit, und das war, als das, was von ihr übrig war, nicht Garnisonkirche, sondern Heilig-Kreuz-Kirche hieß, zwischen 1945 und ihrer Sprengung 1968.

Solange sie stand, war die Garnisonkirche zum weithin sichtbaren Symbol für die militärische Macht und Vorherrschaft des Staates Preußen geworden. Diese Symbolfunktion hat 200 Jahre lang alle anderen möglichen Funktionen überdeckt. Und wer heute dieses Gebäude neu errichten will, muß wissen, daß er dieses Symbol miterrichtet.

Nun sagen viele, allen voran die Aufbaubefürworter der evangelischen K irche, daß die Zukunft der Garnisonkirche ja trotz ihrer Symbolwirkung völlig anders sein kann als ihre Vergangenheit. Aber das kann ich nicht glauben. Es genügt bereits, sich die beteiligten Protagonisten anzusehen.
Da ist auf der einen Seite natürlich die Synode der evangelischen Kirche und ihre Beauftragten, die sich eifrigst und, wie ich finde, nicht besonders geschickt, bemühen, mit dem unangenehmen, aber goldglänzenden Kuckucksei, das ihnen ins Nest gelegt wurde, umzugehen. Eifrig wird an einem Konzept gebastelt und sogar Orte wie Coventry bemüht, nicht um einen Bedarf zu decken, sondern um einen steinernen Koloß mit Inhalt zu füllen.

Das wirkliche Bedürfnis nach diesem Koloß kommt jedoch von der anderen Seite, den, wie man sicherlich behaupten darf, wahren Protagonisten, denn die haben schließlich das ganze Geld zusammengebracht. Doch woran knüpft das Bedürfnis der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel?

Mittlerweile habe ich einige Male den Internetauftritt dieses Vereins gesehen. Bis vor wenigen Wochen wurde man hier noch auf der Startseite mit den Liedzeilen

"Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben, an deines Volkes Aufersteh' n;
laß' diesen Glauben Dir nicht rauben trotz allem, allem, was gesche' n
und handeln sollst Du so als hinge von Dir und deinem Tun allein
das Schicksal ab der Deutschen Dinge und die Verantwortung wär' dein!"

und

"Wach auf, wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen.......“

begrüßt. Diese sind jetzt plötzlich verschunden, doch wenn man die ebenfalls dort befindlichen Rundbriefe des Vereinsvorsitzenden Max Klaar, seines Zeichens Oberstleutnant a.D., liest, wird einem doch etwas anders.
Im vorletzten Rundbrief vom Juni 2000 schreibt er etwa unter der Überschrift „Wehrmachtsausstellung“:

„...Bei der Prüfung der Kriegsschuldfrage muß umfassende Betrachtung der damaligen Situation erlaubt sein, wozu auch gehört, wie das Versailler Diktat von unserer Vätergeneration empfunden wurde.

Ist es denn unwahr, daß der polnische Staatschef Ridz Smigli im Frühjahr 1939 in Krakau vor Offizieren sagte: ‚Meine Herren, es gibt Krieg, ob die Deutschen wollen oder nicht!’

Ist es denn unwahr, daß der britische Außenminister nach dem deutschen Einmarsch in Polen gesagt hat: ‚Endlich haben wir Hitler zum Krieg gezwungen, so daß er nicht mehr einen Teil des Versailler Vertrages nach dem anderen außer Kraft setzen kann.’?...“

Danach spricht Klaar die Progrome an Deutschen in Polen und der Tschechoslowakei an, und im nächsten Abschnitt:
„...Wenn es England und Frankreich wirklich nur um den Schutz Polens ging, warum wurde dann nur einer der ‚Aggressoren’ mit Krieg belegt und damit der lokale Konflikt um die Rückkehr Danzigs und den ‚Korridor’ nach Ostpreußen zu einem Weltkrieg ausgeweitet?...“
In dem Stil geht die Betrachtung noch eine Weile weiter, vom „Leidensweg des deutschen Soldaten“ ist die Rede usw.usf. Mit anderen Worten, alle waren am zweiten Weltkrieg schuld, nur die Deutschen und ihre edle Wehrmacht nicht.

Mit so einer Grundhaltung zur deutschen militärischen Vergangenheit geht die Traditionsgemeinschaft im Internet und damit in der ganzen Welt hausieren. Ich finde es nicht unlogisch, daß sich Leute mit dieser Gesinnung so stark für die Garnisonkirche engagieren. Auch die gebetsmühlenhafte Betonung, daß die Traditionsgemeinschaft nur ein einfacher Kirchbauverein ist und die Kirche ausschließlich religiösen Zwecken dienen soll, kann das nicht verdecken. Für den Soldatenkönig war das Zwingen seiner Soldaten zum Gottesdienst auch ein religiöser Zweck bzw. das dadurch geheiligte Mittel. Entscheidend ist, was hinter dem Aufbaubedürfnis des Hauses steht, und im Falle der Garnisonkirche ist es nun mal nicht Gottesfurcht, sondern die Pflege guter alter preußischer Militärtradition, und deren Fans würden von dem Bau, schon allein vom Aufbaugeschehen, angelockt werden, ob die evangelische Kirche das wahrhaben möchte oder nicht.

Ich appelliere deshalb an alle vernünftigen Menschen in dieser Stadt: Denken Sie noch mal nach, stellen Sie sich nicht auf eine Stufe mit Walter Ulbricht, lassen Sie die Finger von diesem Bau!

Vielen Dank

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