Potsdamer Neuste Nachrichten 17. 11. 2003

Protest gegen Gedenken

Vertriebenen-Mahnmal enthüllt /Kampagne: Ursache und Wirkung nicht verwechseln

Von Ulrike Strube

Ein Gedenkstein für die Opfer von Flucht und Vertreibung infolge des Zweiten Weltkrieges wurde am Sonnabend am Alten Markt eingeweiht. Proteste der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär sowie der Antifaschistischen Aktion Potsdam begleiteten die Veranstaltung des Bundes der Vertriebenen (BdV), Landesverband Brandenburg e.V..

Der graue Findling hat seinen Platz links neben dem Alten Rathaus. Auf der Gedenktafel finden sich Worte Albert Schweitzers: „In schlimmster Weise vergeht man sich gegen das Recht, indem man Völkerschaften das Recht auf das Land, das sie bewohnen, in der Art nimmt, dass man sie zwingt, sich anderswo anzusiedeln“. Das Mahnmal stehe an diesem Ort symbolisch für die im Frühjahr 1945 ankommenden Flüchtlingstrecks, so der Bund der Vertriebenen.

Die Kampagne gegen Wehrpflicht kritisierte die Inschrift des Gedenksteins als „Vereinnahmung“ der Worte des Theologen Schweitzers, die er anlässlich seiner Dankesrede zur Verleihung des Nobelpreises 1954 gesprochen hatte. „Ursache und Wirkung nicht verwechseln“ hieß es auf einem weißen Transparent, das Kampagne-Mitglied Falk Richter während des ökumenischen Gottesdienstes in der Nikolaikirche entfaltete. Dafür gab es zaghaften Applaus, aber auch erboste Kritik: Die Protestierenden gehörten „direkt in einen Wagon nach Sibirien“, sagte eine Besucherin des Gottesdienstes. Nach Aufforderung verließen die Akteure der Kampagne gegen Wehrpflicht widerstandslos die Kirche. Im Anschluss an die Veranstaltung sagte Richter gegenüber den PNN, dass er in der Art des Gedenkens des BdV eine Gefahr sehe: „Die Opfer der Vertreibung können sich nicht mit den Opfern des Holocaust gleichsetzen.“ Er spreche keinem sein Schicksal ab. Jedoch dürfe nicht verdrängt werden, dass die Politik Hitlers von einem großen Teil der deutschen Bevölkerung mitgetragen wurde. „Auch wenn nicht alle Nazis waren.“

Der Bundestagsabgeordnete Markus Meckel (SPD), der Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck bei der Gedenkstein-Enthüllung vertrat, appellierte in seiner Rede, „im Erinnern und Gedenken keinen Teil unserer Vergangenheit zu vergessen“. Ziel einer Geschichtsaufarbeitung müsse sein, eine Wiederholung des Krieges und seiner Folgen zu verhindern. Auch wenn es dieser Tage zweifelhafte Äußerungen gab, „will die Mehrheit der Deutschen keine Wiederholung der Geschichte“. Auf die Inschrift des Gedenksteines eingehend sagte er, dass „die Vertreibung nicht den Holocaust relativiert, sondern die Perspektive der Opfer eröffnet“. Gegenseitige Vorurteile, so Meckel, könnten nur im Dialog überwunden werden. Walther Manfred, Landesvorsitzende des BdV, sagte: „Wie alle haben auch wir ein Recht auf Heimat.“ Flüchtlinge und Heimatvertriebene würden nicht nur das eigene Leid kennen – mit dem Stein solle zugleich der Opfer von Deportation und Zwangsarbeit gedacht werden.

Bei der folgenden Enthüllung des Gedenksteins kam es abermals zu Protesten. Vertreter der Antifaschistischen Aktion Potsdam marschierten mit einem vor die Gesichter gehaltenen Spruchband mit der Aufschrift „Deutsche Täter sind keine Opfer“ und schrillen Pfiffen und Parolen wie „Nie wieder Deutschland“ auf. Einige der knapp 500 Teilnehmer an der Einweihungs-Veranstaltung äußerten ihr Unverständnis über das ihrer Meinung nach späte Eingreifen der Polizei: Bei „Rechten“ handelten die Ordnungshüter schneller, so ihr Vorwurf. Andere Teilnehmer führten die Proteste auf „Fehlschlüsse der Jugendlichen“ zurück, denen das „nötige Geschichtswissen“ fehle.